In Gedenken an Aldo Ferraro

Eine einfache Jahreszahl verbindet mich mit Aldo Ferraro. So kam ich genau in diesem Jahr zur Welt, als Aldo zu seiner Schwester in die Schweiz zog und dort im Tessin versuchte, beruflich Fuss zu fassen. Kein einfacher Schritt für den damals 18-Jährigen, der aus finanziell armen Verhältnissen seiner Eltern und mit knapper Schulbildung aus dem norditalienischen Veneto stammte.

Es galt, sich vorerst mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Der Zufall wollte es, dass er als angelernter Hotelschreiner in der Villa Carona Paul und Armin Itel aus Basadingen kennenlernte. Die beiden Unternehmer schienen das Potenzial Aldos zu erkennen und boten ihm eine Stelle in ihrer Schreinerei in Basadingen an. Aldo dankte es ihnen mit vorbildlicher Firmentreue und blieb dem Betrieb bis zu seiner Pensionierung erhalten.

Sein Lebensmittelpunkt verlagerte sich nun in den Unterthurgau und festigte sich 1963 mit der Heirat von Gabriella, die ebenfalls aus Norditalien stammte und im Zuge der Arbeitsuche nach Diessenhofen kam. Die Geburt von Sohn Enrico, zwei Jahre später, war ein weiterer Schritt dazu, hier eine neue Heimat gefunden zu haben.

Integration war für Aldo nicht irgendeine Worthülse, da zu dieser Zeit, trotz der grossen Einwanderung italienischer Arbeitskräfte, der Begriff kaum im aktiven Wortschatz zu finden war. Nein, Aldo lebte die Integration, sei es am Arbeitsplatz sei es dank der Zugehörigkeit zum Fussballclub und später zur Stadtmusik. Aldo schätzte das Zusammensein und die Gesellschaft, unabhängig der Herkunft der Menschen zeitlebens sehr. Kein Wunder, dass er mit seiner Familie 1976 unbestritten eingebürgert wurde und seine neue Staatszugehörigkeit als Schweizer mit Stolz in seinem Herzen trug, und doch stets auch immer seine ursprüngliche Herkunft schätzte. Nicht zuletzt verlieh ihm das Schweizer Bürgerrecht auch eine Sicherheit, da die Überfremdungsfrage trotz der 1970 eher knapp abgelehnten Schwarzenbach-Initiative bis heute nicht abebbte.

Fussball war die grosse Leidenschaft des eingewanderten Norditalieners. Bereits früh verschrieb er sich als Fan des FC Lugano. „Lugano gunnt“ war der unnachahmliche „Schlachtruf des eingefleischten Fussballfans. Sein Talent auf dem Feld wurde mit seiner Ankunft in der Region auch vom FC Diessenhofen erkannt, in dessen Reihen er sehr bald stand. Fussballschuhe besass er nicht. Doch kein Problem, so verzichtete halt ein Spieler auf den Einsatz und stellte dem sympathischen und talentierten Neuzuzug seine Fussballschuhe zur Verfügung. Dies in einer Zeit, als für die Reise zu einem Auswärtsspiel noch Eisenbahn, Postauto oder das Velo benutzt wurden. Die Operation seiner Menisken machten seiner Fussballkarriere ein abruptes Ende. Aldo blieb dem FCD jedoch weiter erhalten, sei es als unparteiischer Linienrichter mit dem verständlichen Flair, in Zweifelsfällen für das eigene Team zu entscheiden. Oder gleichzeitig als Masseur, dessen in kaltem Wasser getränkter Schwamm besonders in der kälteren Jahreszeit den gefoulten Spieler sofort aufstehen und den heute vertrauten Mätzchen, den toten Mann zu markieren, keine Chance liess.

Eine grosse Freude machte der FC Diessenhofen Aldo, als anlässlich einer Vereinsreise in den Achtzigerjahren ins venetische Valdobbiadene seine Herkunftsregion besucht wurde. Voller Stolz und stets mit seiner Super 8 Filmkamera bewaffnet, präsentierte er uns Fussballern „mini Dorf“. Seine Verbundenheit zu seiner ursprünglichen Heimat pflegte er auch in Diessenhofen im Italienerclub ACLI oder im Bocciaclub. Er genoss in seinen Vereinszugehörigkeiten nicht nur die Gemeinschaft oder die Feste, sondern scheute auch die Arbeit nicht, wenn es ums Organisieren ging.

Aldo reiste gerne. So besuchte er mehrere Male seine beiden Brüder, die nach den Kriegsjahren nach Kanada ausgewandert waren. Aber auch zuhause in Diessenhofen engagierte er sich bis weit über seinen Ruhestand hinaus. Sei es als umsichtiger Kassenführer im Altersturnen der Männerriege oder als Chauffeur für den Mahlzeitendienst der Pro Senectute.

Seine in finanzieller Hinsicht sehr entbehrungsreiche Jugend liess, trotz der in der Schweiz gewonnenen wirtschaftlichen Sicherheit, Aldo immer ein sehr grosses und warmes Herz für Menschen haben, die auf der Schattenseite des Lebens standen. Dies prägte ihn auch politisch und begründetet seine Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei. Mit grossem Interesse folgte er stets alle Entwicklungen von der lokalen bis zur globalen Politik. Durch sein gewonnenes Umfeld mangelte es nicht an Möglichkeiten, diese auch zu diskutieren. Parteiintern zeichnete er sich bei den Spaghettiessen „Rot ins neue Jahr“ als grossartiger Koch dieser italienischen Spezialität aus, stets begleitet durch einen feinen Prosecco aus seiner einstigen Heimat.

Aldo wäre im kommenden Sommer 90 Jahre alt geworden. Nur zu gerne hätte er dies noch erlebt. Nach einer Notoperation im letzten September erholte er sich kaum mehr richtig und sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. So kam er erst zur Reha, später zur Langzeitpflege ins St.Katharinental. Nach einem weiteren Spitalaufenthalt ist er eine Woche nach seiner Rückkehr ins St.Katharinental am 1. Dezember für immer eingeschlafen.

Wer Aldo kannte, und das waren nicht wenige, wird ihn vermissen. Ohne dass er je in den Vordergrund trat, wird mit ihm unserer Gesellschaft ein Mensch fehlen, der einen eindrücklichen Lebensweg nach sich zieht, der Aufgaben suchte, diese pflichtbewusst und in treuer Manier bewältigte, auch in schwierigen Lebensphasen nie aufgab und stets ein riesengrosses Herz für alle Menschen und Lebewesen hatte.

Seiner Familie wünsche ich namens all seiner Wegbegleiter die notwendige Kraft, mit dem Verlust umgehen zu können.

Grazie mille, Aldo, per essere una parte arricchente della nostra società. Il paradiso può essere fortunato ad averti con sé adesso. Ciao Aldo!

 

Dein langjähriger Weggefährte Armin Jungi

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